Fr 20.11.2015 20:30 Uhr
Sa 21.11.2015 20:30 Uhr
Haus Vier und Einzig - Hallerstraße 41 - Innsbruck
Ein Genre übergreifender Tanzabends, bei dem Eva Müller, Paolo Baccarani und Benito Marcelino gemeinsam mit der Autorin Christine Frei drei Stücke präsentieren werden, die trotz ihrer thematischen, bild- und körpersprachlichen Unterschiedlichkeit doch eine zentrale Gemeinsamkeit aufweisen. Denn alle drei Arbeiten sind letztlich das Ergebnis vielschichtiger Interaktionen, zwischen Ich und Du, Innen und Außen, Jung und Alt, Mann und Frau, Animus und Anima, und dem, was Menschen mit ihren jeweiligen Herkünften und Rollen in den verschiedenen ihnen zugewiesenen geschichtlichen wie realen Räumen widerfährt, was sie dort behindert und bewegt.
Die Innsbrucker Tänzerin und Choreographin Eva Müller zeigt mit Chiaroscuro etwa jenes Solo, das sie heuer als Residenzkünstlerin des Festivals durch:formen und im Auftrag des Center for Choreography Bleiburg im Steinhaus von Günther Domenig am Ossiachersee erarbeitet hat.
Das Stück repräsentiert dabei ihre ganz persönliche (weibliche) Antwort auf die gleichermaßen geniale wie einschüchternd dominante (männliche) Architektur und Atmosphäre dieses Künstlerhauses, bei der sie sowohl Sichtbares wie Unsichtbares, Offenkundiges wie Verborgenes, Bewusstes wie Verdrängtes, Wohlgefälliges wie Angst- und Schambesetztes auszuloten versuchte. In ihrer Performance entwickelte Müller dann über Kostüm und Körper eine Art Gegenarchitektur, mit der sie sowohl den manifesten wie den lauernden Gefühlskörpern in den jeweiligen Räumen zu begegnen bzw. mit diesen zu interagieren versuchte. So lässt sie zunächst ihren ganzen Körper in einem überdimensionalen Reifrock verschwinden, um sich dann mit zunehmender Selbst-Bewusst-Werdung als Frau aus ebendiesem herauszuschälen und in weiterer Folge sowohl in die Rolle des Showgirls wie des wandlungsfähigen Gefühlsmediums zu schlüpfen.
Der aus Mailand stammende zeitgenössische Tänzer und Performer Paolo Baccarani nimmt in seiner 2015 entwickelten Soloperformance Europe on the Beach zwar unmissverständlich Bezug auf die zweifellos größte Flüchtlingsbewegung, mit der sich Europa seit Ende des Zweiten Weltkrieges konfrontiert sieht, er stellt sie aber gleichzeitig als "kolonialistische Erzählung" in einen eindeutigen politischen und historischen Kontext. Baccarani schreckt dabei selbst vor einer kritischen Auseinandersetzung mit der eigenen Herkunft(sfamilie) nicht zurück, war doch sein Großvater nicht nur Faschist, sondern zudem noch Offizier im letzten italienisch-äthiopischen Kolonialkrieg.
Die Krux des Problems findet er bezeichnenderweise bereits in den geistesgeschichtlich-mythologischen Ursprüngen unserer westlichen Zivilisation: Denn so wie einst das Schicksal der von Zeus entführten phönizischen Königstochter Europa am Strand von Sidon im heutigen Libanon seinen Lauf nahm (er setzte sie bekanntlich in Kreta ab), treibt es nunmehr die Opfer des von uns stillschweigend mitgetragenen Neokolonialismus an Europas Strände. Baccarani arbeitet bei Europe on the Beach übrigens nicht nur mit den klassischen Gestaltungsmitteln der Performance wie Symbolik, Ritus, Überzeichnung, er verwendet für seine Interaktion mit dem Publikum auch biographisches Material und Videos des legendären niederländischen Konzeptkünstlers Bas Jan Ader.
Benito Marcelino , einst gefeierter Solist beim renommierten Stuttgarter Ballett und mittlerweile international gefragter Choreograph und Tanzcoach, wagte sich in seinem Tanzstück an die Interaktion mit einem dichten lyrischen Text der Autorin Christine Frei.
Christine Frei gab Benito Marcelino zunächst ihren 2005 geschriebenen eRose-Zyklus, eine lyrische Paraphrase über die (missglückte) Begegnung von Eros und Psyche, welche mit dem Erwachen der Rose als sich selbst vermählter Braut endet. Da jener Text primär die Gefühlswelten von Psyche und Aphrodite als deren Wächterin widerspiegelt, schrieb Frei für Marcelino diesen Sommer noch den Gegenzyklus ERos Reply, um für das gemeinsame Projekt Interaction auch Eros eine Stimme zu geben. Marcelino formte in seiner Umsetzung, für die er beide Zyklen ineinander verwob, ein dichtes Geflecht von innerpsychischen, zwischenmenschlichen, geschlechts- wie Genre übergreifenden Interaktionen. So treffen Mann und Frau auf Mann in Frau und Frau im Mann, auf das eigene wie das andere innere Kind, trifft Liebe auf Eros, Gegenliebe auf Gegenwind, Schauspiel auf Tanz, Wort auf Musik.
Marcelino wird in seiner ersten OFFTANZ TIROL - Produktion freilich nicht nur inszenieren, sondern (als Ersatz für den leider verletzungsbedingt ausgefallenen Hauptdarsteller) auch selbst den Part des ER(os) übernehmen. Die Schauspielerin Luka Oberhammer spielt und tanzt sein weibliches Gegenüber, der 13-jährige Lorenz Weiss jene des inneren Kindes. Für die Rolle des Anteros (der Gegenliebe) konnte Marcelino zudem Constanze Korthals gewinnen, die Tanzbegeisterten noch als ausdrucksstarke Solotänzerin aus der Ära Birgit Scherzers am Tiroler Landestheater bestens in Erinnerung sein dürfte. Der 16-jährige Musikgymnasiast Eneas Leon Weiss wird ihren Auftritt mit Chopins Andante Spianato am Klavier begleiten. Marcelinos Ballett-Elevinnen Sibylle Moser, Tonja Sauper und Elisabeth Stoß werden zudem die verschiedenen widerstreitenden emotionalen Stimmungen verkörpern.
Inszenierung:
Text:
Darsteller:
Luka Oberhammer
Constanze Korthals
Sibylle Moser
Tonja Sauper
Elisabeth Stoß
Lorenz Weiss
Klavier: